Weiter zur Navigation Weiter zum Inhalt

Rückblick auf das Erzählcafé am 28.03.2025 in Herzogsägmühle

Austausch von Nachfahren und Angehörigen von Verfolgten des Nationalsozialismus in Herzogsägmühle

Ende März trafen sich Angehörige von Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus sozial-rassistischen Motiven verfolgt und in Herzogsägmühle zwangsuntergebracht wurden, zu einem gemeinsamen Austausch in den Räumen des Lernorts. Neben den direkten Nachfahren durften die Mitarbeiter*innen des Lernorts auch weitere Familienmitglieder sowie einige Interessierte mit privatem oder beruflichem Bezug zum Thema empfangen.

Das Zusammenkommen begann mit einem Rundgang über das Gelände. Dabei wurden die baulichen Gegebenheiten sowie insbesondere die sozialen Bedingungen erläutert, unter denen die einstigen Zwangseingewiesenen in der NS-Zeit lebten. Das Denkmal "Ort der Erinnerung" mit dem Kubus mit den über 430 Namen und Sterbedaten der Opfer führte das Ausmaß der Verfolgung hier in Herzogsägmühle vor Augen.

Im Anschluss fand das Erzählen in Café-Atmosphäre in den Räumen des Lernorts statt. Die Leiterin des Lernorts, Frau Müller-Gräper, stellte zu Beginn die Biografien der Verwandten der Anwesenden vor. Dies ermöglichte einen persönlichen Zugang zu den Einzelschicksalen und eröffnete Raum für Gespräche über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Familiengeschichten. Es wurde deutlich, dass das Schicksal dieses einen Menschen nicht allein zu sehen ist, sondern häufig mit dem der anderen Familienmitglieder verwoben ist – etwa im Fall von Ehepaaren, die beide eingewiesen wurden, oder Familien, die über Jahre hinweg mit den nationalsozialistisch gesteuerten Behörden in Konflikt standen.

Die Informationen über die Verfolgten finden die Nachfahren fast ausschließlich in Archivmaterial. Zu jeder in Herzogsägmühle untergebrachten Person wurden durch die damaligen Leiter sowie die sogenannten "Fürsorger" Akten angelegt und geführt. Diese Unterlagen liegen heute im Landeskirchlichen Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB) in Nürnberg. Wenn Angehörige Einblick in die Akten nehmen möchten, werden diese über den Lernort Herzogsägmühle angefordert und anschließend gemeinsam angeschaut.  

Im Erzählcafé stellten die Anwesenden Parallelen fest, bezüglich des Blicks der Nationalsozialisten auf Menschen, die sie aus sozial-rassistischen Motiven als "arbeitsscheu" oder "asozial" stigmatisiert haben. Sie wurden nicht nur sozial ausgegrenzt und entrechtet, sondern häufig auch mit schnellen, medizinisch unhaltbaren "Diagnosen" abstempelt. Diese trugen mitunter zu gravierenden Konsequenzen bei: von der systematischen Vernachlässigung über die Verweigerung medizinischer Versorgung bis hin zur Überstellung und Ermordung in Heil- und Pflegeanstalten oder Konzentrationslagern.  

So fragte sich ein Nachfahre in diesem Zusammenhang: "Was kann ich wissen über einen Menschen, den ich nur aus den Akten kenne? Was davon ist Wahrheit und was erfunden?" Die Recherchearbeit bringe zwar oft Freude über gefundene Hinweise, gleichzeitig bleibe aber die Unsicherheit, wie stark die nationalsozialistische Ideologie die Charakterisierung des Angehörigen verfälscht hat. So war beispielsweise das Verfassen eines Lebenslaufs keine freiwillige Entscheidung, sondern eine Anweisung durch das Fürsorgepersonal. Persönliche Zeugnisse wie Briefe oder Fotografien sind hingegen äußerst selten erhalten geblieben.
Ein weiteres Thema des Austauschs war das Entziffern der Sütterlin-Handschrift, die heute kaum mehr jemand lesen kann. Ein Gast, der intensivere Familienforschung betreibt berichtete von einer App, die beim Übersetzen helfen kann.  

Das Lernort-Team möchte sich bei allen Beteiligten des Erzählcafés für den offenen Austausch bedanken! Danke für den Mut und die Ausdauer, sich mit der eigenen Familiengeschichte in der NS-Zeit auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen. Besten Dank auch an alle Angehörigen für die zum Teil lange und anstrengende Anreise. Ein besonderer Mehrwert entsteht, wenn Angehörige bereit sind, ihre Recherchen, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse zu teilen.

Es besteht die Möglichkeit, Beiträge in der regionalen Presse zu veröffentlichen – teilweise ist dies bereits geschehen (siehe: Ein einfaches Leben in Starnberg – auf den Spuren des Großvaters) – oder sich an dem geplanten Gedenkbuch zu beteiligen, das Ende des Jahres erscheinen wird.

Zukünftige Veranstaltungen:

Nach diesem Erzählcafé ist ein weiteres geplant, das sich mit Akteuren nach 1945 und ehemaligen Lehrlingen sowie dem Bereich Fürsorge und Heimkinder beschäftigen wird. Den Termin für Herbst 2025 teilen wir noch mit.

Impressionen vom Erzählcafé am 28. März 2025