Gegenwart trifft Geschichte: Führung am Lernort Herzogsägmühle während des Wohnungslosentreffens
Ende Juli 2025 war Herzogsägmühle erneut Gastgeberin für das bundesweite Wohnungslosentreffen der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e. V.
Zum zehnten Mal kamen rund 65 wohnungslose und ehemals wohnungslose Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet zusammen, um sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken – und um deutlich zu machen, was sich politisch und gesellschaftlich ändern muss. Das Motto „Wie Du und ich“ brachte auf den Punkt, worum es bei diesem Treffen ging: Sichtbarkeit, Teilhabe und die klare Forderung, Menschen mit eigener Erfahrung aktiv in politische und fachliche Entscheidungen einzubeziehen. In Workshops, Vorträgen und Gesprächsformaten stand die Perspektive der Betroffenen selbst im Mittelpunkt – etwa bei Fragen nach wirksamen Konzepten gegen Wohnungslosigkeit, Zugang zur Gesundheitsversorgung oder den besonderen Herausforderungen für Frauen und Familien auf der Straße.
Ein besonderer Programmpunkt war der Besuch des Lernorts Herzogsägmühle. Die Historikerin Babette Müller-Gräper gab in einem Vortrag einen Überblick über die Geschichte des Dorfes, das 1894 als Arbeiterkolonie gegründet wurde. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Zeit des Nationalsozialismus, in der auch Herzogsägmühle Teil eines Systems sozialer Ausgrenzung und Zwangsarbeit war. Im Anschluss besichtigten die Teilnehmenden das Mahnmal sowie die Ausstellung zur NS-Vergangenheit, die heute fester Bestandteil der Erinnerungsarbeit in Herzogsägmühle ist.
Drei Teilnehmende des Treffens erklärten sich bereit, ihre Erfahrungen im Rahmen von Interviews für die Lernplattform des Lernorts Herzogsägmühle zu teilen. Für diese Offenheit und Bereitschaft möchten wir uns herzlich bedanken:
- Dirk Dymarski, Mitglied der Regionalleitung Nord der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e. V., sprach über seinen persönlichen Lebensweg und darüber, was es bedeutet, keinen festen Wohnsitz zu haben – und wie wichtig das Thema Wohnen für gesellschaftliche Teilhabe ist.
- Ilse K., ebenfalls aktiv in der Selbstvertretung, betonte in ihrem Beitrag die Bedeutung einer aktiven Erinnerungskultur. Sie machte deutlich, wie wichtig es ist, die Verbrechen der nationalsozialistischen Zeit im Bewusstsein zu halten – gerade auch im Hinblick auf heutige Formen von Ausgrenzung.
- Lutz S., auch aktiv in der Selbstvertretung und Bewohner von Herzogsägmühle, schilderte seinen Lebensweg und sprach über seine Erfahrungen mit sozialer Arbeit. Er zeigte auf, wie die historischen Erfahrungen der NS-Zeit auch das heutige Denken über Hilfsbedürftigkeit und gesellschaftliche Teilhabe prägen können.
Das Wohnungslosentreffen 2025 in Herzogsägmühle war ein Ort des Austauschs, der Selbstbestimmung und des gemeinsamen Lernens. Die Offenheit, mit der viele Teilnehmende ihre Erfahrungen und Perspektiven eingebracht haben, macht deutlich: Die Auseinandersetzung mit Armut, Ausgrenzung und gesellschaftlicher Verantwortung ist nicht nur eine fachliche oder politische Aufgabe – sie beginnt beim Zuhören und beim Anerkennen jedes einzelnen Lebensweges.